Mittler zwischen den Welten
Auszüge eines Berichtes aus der P. M. Perspektive
Das Magazin für kompaktes Wissen Ausgabe 1/2008 vom 15. Februar 2008
Besuch aus dem Jenseits
Als der Berliner Journalist Wolf Gebhard gebeten wurde, für dieses Heft über den Kontakt zu Toten zu schreiben, war er zunächst skeptisch. Und er ahnte nicht, was ihm alles bevorstehen sollte.
Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, worauf ich mich mit dieser Geschichte einlasse, hätte ich den Auftrag vielleicht abgelehnt. Ich wollte über den Kontakt mit Verstorbenen nicht nur schreiben, sondern versuchen, ihn selbst herzustellen. Und wusste nicht, was mir da bevorstehen sollte.
Falls ich je zuvor Verbindung mit dem Jenseits hatte oder einem Geist begegnet bin, dann an der Schwelle zu meiner Wohnung. Doch das auch nur im Traum. Im März 2004, ein Dreivierteljahr nach dem Tod meines Vaters, träumte ich: Es klingelt. Als ich aufmache, steht Paps vor der Tür. Ich weiß aber, dass er ja tot ist. Ohne ersichtlichen Grund rennt er davon, und ich renne hinterher.
Im Traum wusste ich also, es ist ein Toter, ein Geist, der da vor mir stand. Andererseits war dieser Geist ja nur geträumt. Das war nicht besonders spektakulär. Und nun, drei Jahre und neun Monate später, muss ich mir eingestehen, dass ich zwar erneut in diese unwirkliche Welt aufbrechen will, aber gar keinen Plan habe. Was also tun?
Ich höre mich um, frage Freunde und Bekannte nach eigenen Erlebnissen. Mein Kollege Michael erzählt mir, dass er, nach dreitägiger Trauerwache, noch immer auf die Leiche seines Vaters starrend, hinter sich die Stimme des Toten zu hören schien: „Lass meinen Körper, das bin ich nicht mehr.“
…….
[ Auszüge aus dem Artikel] :
Zunächst fühle ich aber einem anderen Medium auf den Zahn.
Der Kölner Werner Brodeßer lädt die Geister geradezu ein .......
„Versinken Sie“, lädt mich Werner Brodeßer wenige Tage später ein und deutet auf einen altertümlich aussehenden Stuhl. Der Stuhl, ein Sofa, die Schillerbüste auf dem nussbraunen Klavier – das ganze Mobiliar, das im klaren Licht des frühen Nachmittags steht, umweht ein musealer Hauch von Weimarer Klassik. Ich bin mir sicher, für spiritistische Sperenzien ist in diesem Wohnzimmer in Troisdorf kein Platz.
Der Kontakt geschehe auf einer emotionalen Ebene, sagt der Mann mit dem sympathischen Allerweltsgesicht eines Bankkaufmanns, der er im früheren Leben auch war. Er empfange gelegentlich aber auch Worte und sogar Bilder. Mit dem Sitting will er sofort beginnen, um möglichst wenig Vorabinformationen zu haben. Gelegentliche Fragen, die ich nur mit Ja oder Nein beantworten solle, seien nötig, damit er auf der richtigen Schiene bleibe. Das sei wie bei einem alten Radio, entschuldigt er sich, bei dem man nach dem richtigen Sender suchen muss. „Es rauscht auf mich ein, und dann versucht man, sich auf den richtigen Kanal zu konzentrieren.“
Werner Brodeßer schließt die Augen und atmet tief durch. Der Daumen seiner rechten Hand reibt immer wieder an den Spitzen der übrigen Finger, so, als müsse er als Kontaktmann das, was die Jenseitigen sagen wollen, durch Bewegung in diesseitige Sprache übersetzen. Über eine Stunde lang wird Brodeßer mir mit geschlossenen Augen Fragen stellen, mir seine Gedanken schildern, dabei viel Wasser trinken und mitunter lange Pausen machen. Hier einige Auszüge (meine Kommentare in Klammern dahinter).
Brodeßer: „Ich bekomme einen Gruß an Ihre Mutter. Ist es richtig, dass Ihr Vater schon drüben ist? Hat man schon zu Lebzeiten auf Distanz gelebt? (Ja, ich in Berlin, er in Stuttgart). „Noch nichts erzählen, da muss ich selber draufkommen. Sein Tod kam für ihn zu plötzlich, er kann nicht von allen Abschied nehmen. Ist es richtig, dass er dennoch das Krankenhaus mitbekommen hat? Ich hab den Äther unter der Nase, was für mich immer Krankenhaus heißt.“ (Auch das stimmt: Mein Vater war einige Tage im Krankenhaus, nichts Lebensbedrohliches, dann, innerhalb eines Tages, plötzliche Krise und Tod.)
Brodeßer fährt fort: „Gibt es den Namen Christina in der Familie?“ Ich antworte: „Nicht ganz richtig“.
Brodeßer: „Schon klar. Ist sie vielleicht die Schwester?
(Eine meiner Schwestern heißt Kristin. Da sie einige Texte veröffentlicht hat, lässt sich ihr Name im Internet finden; dort ist aber nicht ersichtlich, dass ich ihr Bruder bin.)
Brodeßer duzt mich jetzt. „Hast Du einen Bruder verloren?“ (Ja, er ist am Tag seiner Geburt gestorben, was aber nur meiner Familie bekannt ist.)
„Gibt es im Freundes- oder Arbeitsbereich einen Micha oder Michael? (Ja. Wir beide stehen mit einem gemeinsamen Projekt auch im Internet). Kennst Du ihn näher? Weißt Du, ob sein Vater auch drüben ist? (Ja).
Ich hab das Gefühl, dein Vater und du, dass ihr über Träume tatsächlich habt Abschied nehmen können, [Anmerkung: siehe oben!!] was ihr im Leben nicht konntet. (Als ich erfuhr, dass mein Vater im Sterben lag, war ich in Hamburg und fuhr sofort zu ihm, kam aber zu spät. Glücklicherweise war meine Zwillingsschwester Eva noch rechtzeitig bei ihm.)
Zum Schluss erzählt Werner Brodeßer von sich selbst: „Nach dem Tod meiner Schwiegermutter, in dem halben Jahr danach, haben wir so viele Glühbirnen eingekauft wie sonst in Jahren. Eine Glühbirne nach der anderen ditschte kaputt. Ich glaube, dass dein Vater, wenn er sich bemerkbar machen wollte, auch über solche Schienen kommt. Halt einfach die Augen offen in diese Richtung.“
Seine eigenen Augen öffnet Brodeßer erst am Ende der Sitzung.
Woher wusste er all diese Dinge? Dinge, die er auch im Internet nicht recherchiert haben kann und die auch nicht durch reinen Zufall zu erklären sind. Wusste er sie tatsächlich von den Toten? Oder durch Telepathie? Angelt er in einem traumähnlichen Zustand in meinem Unterbewusstsein herum, um am Ende eine ganze Fischfamilie in sein Troisdorfer Wohnzimmer zu ziehen?
Werner Brodeßer selbst schließt gelegentliche telepathische Funde nicht aus, ist aber fest davon überzeugt, dass die Toten wirklich leben. Spätestens seit seine tote Schwiegermutter, zwölf Jahre ist es her, vor ihm im Garten stand, mit einem Weidenkorb voller Blumen in der Hand. Lächelnd. Trotzdem fiel Brodeßer vor Schreck ins Gemüse. Es war der letzte Schubs, den er brauchte, um vom Bankkaufmann zum hauptberuflichen Medium zu werden.
„Warum sollten die Jenseitigen mit uns sprechen wollen?“, will ich wissen. Brodeßer wägt die Antwort ab: „Erst mal, um uns zu zeigen, dass sie noch da sind. Und um Trost und Hilfe zu geben, dadurch, dass das Leben mit diesem Leben nicht beendet ist. Aber die Hauptaufgabe ist: zu zeigen, ich hab Dich lieb. Was man im Leben häufig viel zu wenig mitgeteilt hat.“
Wir sitzen jetzt bei Kaffee und Keksen und reden über meinen geplanten Artikel. Es scheint ihm egal, was ich über ihn schreiben werde. „Sei einfach ehrlich“, sagt er. Und dann rutsch ihm heraus: „Dann klappt’s auch mit der Nachbarin.“
Jetzt muss ich lachen. Verdammt noch mal, woher weiß er auch das noch? ...
Am Nachmittag schreibe ich zu Hause über meinen Besuch bei Werner Brodeßer. Es wird dunkel. Ich drücke den Knopf der Schreibtischlampe, doch sie geht nicht an. Ich muss an Brodeßer’s Satz denken, dass mein Vater über die Schiene mit den Glühbirnen kommen könnte. Ich drehe eine neuen Birne ein: nichts. Ist die neue Birne auch kaputt, oder sind es die Kontakte der Lampe? Um die neue Glühbirne zu testen, drehe ich sie in meine Nachttischlampe. Jetzt leuchtet sie auf. Ich stehe davor und hoffe unwillkürlich, das etwas Spektakuläres passiert. Natürlich passiert nichts.
Ich gehe kurz hinaus, zünde mir eine Zigarette an und lege mich schließlich auf das Bett, um über den letzten Satz meines Artikels nachzudenken. Da geht die Lampe aus. Ich bekomme eine Gänsehaut am ganzen Körper und fixiere die Birne. Nach etwa zehn Sekunden geht sie wieder an.
Einen Moment später geht sie wieder aus, dann sofort wieder an. Was die Lampe macht hat nichts mit dem Flackern einer krepierenden Glühbirne zu tun. Das Wiederaufglühen und Wiedererlöschen hat etwas Absichtsvolles – wie ein Auge, das sich öffnet und dann wieder schließt. Nur Sekunden vergehen, dann erlischt sie aufs Neue, nur um sofort danach wieder aufzuleuchten .....